Freiheit heisst Entscheidung

Nachdem Dein Chor "mit Sicherheit singen" kann, kannst Du ihm etwas mehr künstlerische Gestaltungskompetenz einräumen.

"Bietet mir mal etwas an" ist ein schöner Satz, den ich schon bei manchen Chorleitern erlebt habe. Was Du dann zu hören bekommst, ist das, was der Chor bisher von dem Stück oder auch Deiner Ansage "verstanden" hat - sei es klanglich, harmonisch, textlich, rhythmisch oder was auch immer sonst noch mit hineinklingt. Dieser Ansatz ist spannend, weil er auch hier wieder den Dialog eröffnet zwischen Dir als musikalischem Leiter und den Chormitgliedern als Ausführenden.

Etwas leichter ist es anfangs, wenn Du zwei Optionen zur Auswahl stellst. Am besten bei Stücken, wo Du Dir selber nicht sicher bist, welche Variante Du bevorzugen sollst. Gerade am Schluß eines Stückes stellt sich zum Beispiel die Frage: ritardieren und den Schlußton lange halten - oder lieber mit einem "Knalleffekt" beenden?

Bei dieser durchaus demokratisch-orientierten Art des Probens ist es (wie immer in der Demokratie) wichtig, dass man eine gemeinsame Informationsbasis hat. Also rede mit Deinem Chor! Erzähle Ihnen, was Du über das Genre, den Komponisten und seine Zeit oder über die Umstände der Entstehung des Stückes weisst - halt die Dinge, die auch bei Dir selbst Deine Entscheidungen beeinflussen. Vielleicht sind es auch eher praktische Überlegungen, vorhandene (oder nicht vorhandene) Kompetenzen Deines Chores oder andere Gedanken, die Dir wichtig erscheinen - teile sie!

Und dann lass Deinen Chor beide klar definierten Varianten singen und höre gut zu.

Danach ist die Entscheidung leicht - denn Dein Chor wird sie schon getroffen haben. Nicht zuletzt auch wegen Deiner Ausführungen, so dass Du Dich also nicht entmündigt fühlen musst. Aber beim Hören wird klar, welche Aspekte dem Chor eingeleuchtet haben und was Ihnen sinnvoll erschien - und so präsentieren sie Dir IHRE Interpretation. Und das klingt immer besser als jede musikhistorisch einwandfreie Interpretation, die Dein Chor nicht verstanden hat und daher auch nicht fühlen kann.

Manchmal ist es sicher so, dass Du zwar den Willen für eine bestimmte Gestaltung hören kannst, die stimmlichen oder technischen Fähigkeiten aber noch nicht gereicht haben. Auch hier hat es sich bewährt, das zu formulieren: "ah, ich habe gehört, dass ihr hier alle einheitlich leiser werden wolltet. Allerdings hat da die Atemfrühung nicht gereicht, so dass der Ton abgebrochen ist. Lasst es uns noch einmal versuchen und stellt Euch vor, der Ton verschwindet am Horizont". So in etwa könnte Deine Reaktion auf dieses Angebot Deines Chores sein: Du würdigst die Idee, indem Du sie ernst nimmst und gleich an der praktischen Umsetzung arbeitest. Mag sein, dass es auch nach drei Versuchen nicht besser wird. Das hört aber auch Dein Chor! Und wenn Du jetzt sagst: "Das klang immer noch nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Versuchen wir jetzt doch noch einmal eine ganz andere Variante und starten die Phrase leise, werden etwas lauter und nur ganz am Schluß wieder leiser", dann wird Dein Chor die Alternative sicher gerne testen und ihr Euch vielleicht schnell einig, dass es so doch besser klingt.

Und damit hat ein künstlerischer Austausch stattgefunden, der die mentale Tür zur Freiheit Deiner Chorsänger geöffnet hat.

 

Eine nicht ganz ernst gemeinte Warnung am Schluss: es gibt keinen Weg zurück!

Ist Dein Chor einmal gewohnt, dass er mitdenken soll und mitreden darf, wirst Du kein "Stimmvieh" mehr vor Dir haben. (Sorry, ich benutze den Ausdruck nicht, habe ihn leider aber wirklich von einem Chorleiter gehört.)

Dein Chor will nun mitgestalten - und das ist gut so!

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