Neue Wege beim Lernen

In meiner Chor- und auch Unterrichtstätigkeit werde ich ständig mit neuen Medien konfrontiert. Die Schüler kommen und erzählen mir, dass sie "ein cooles Lied" auf youtube gefunden haben und dass sie sich das mit dem entsprechenden Tutorial beigebracht hätten, die Notenverlage bieten mp3s zum lernen an (oft sogar als EINZIGES - also statt Noten) und meine jungen Männer singen selbstverständlich nicht mit Notenmappe, sondern mit Tablet.

Soll man das verbieten - kann man das gutheißen - ist das der Niedergang der alten Werte??

Wie im echten Leben möchte ich auch hier ein fröhliches "sowohl als auch" entgegnen!

Als wir nur die herkömmlichen Methoden zum Lernen hatten, war Wissen gleich Herrschen. Du brauchtest jemanden, der Dich in die Geheimnisse der Notation, der Stimmführung, des Instruments, der Harmonielehre einweihte. (...und dieses Wort verrät schon, dass Du mit Wissen auch eine besondere Stellung erworben hattest).

Dieses etwas Mythisch-Angehauchte eines Lehrers oder Chorleiters ist in Zeiten von Wikipedia, Tutorials und dem Internet mit all seinen Möglichkeiten vorbei.

Gleichzeitig ist ein Wegweiser und Ratgeber, dem man vertrauen kann, nie wichtiger als in dieser Zeit der unbegrenzten und oft auch unkontrollierten Möglichkeiten.

Und nachdem Du das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kannst, solltest Du Dich offen und ehrlich mit den Chancen und Fallen der neuen Möglichkeiten auseinander setzen.

Beispiel Tablet: ich überlege selber schon, eines anzuschaffen. Gerade auch für Ältere wäre das eigentlich die ideale Möglichkeit, da es nicht so schwer ist wie manche Mappe und manches Chorbuch, die Beleuchtung ist immer garantiert und Du kannst Dir sogar die Größe so einstellen, wie es für Dich gut ist. Inzwischen kann man sogar ohne Probleme Einzeichnungen vornehmen... Auch hier bieten sich wieder ungeahnte Möglichkeiten, wie Du Deinen Chor vernetzen kannst im Dorf oder Stadtteil - stell Dir vor, es finden sich einige aus dem Chor, die so etwas nutzen wollen und ihr könnt einen jungen Musiklehrer oder einen engagierten und musikalischen Schüler finden, der Euch erklärt, wei man das am besten nutzt? Ihr seid der coole Chor, der sich den neuen Möglichkeiten stellt und die neuen Kontakte werden Euch sicher auch manch andere Möglichkeiten öffnen.

Beispiel mp3s: ich habe für meinen Chor in letzter Zeit auch öfter Einzelstimmen eingesungen. Mp3s sind ein guter Zusatz für SängerInnen, denen die Wiederholungen nicht ausreichen, die in den Proben möglich sind.

ABER: wenn Du gekaufte Stimmen hast, ist dort oft kein Text integriert, die Kunsttöne atmen nicht und das Ganze hat keine Agogik, fließt nicht, sondern konzentriert sich nur auf die Tonhöhen und -längen. Das ist nicht schlecht, sollte aber unbedingt kommuniziert sein. Denn wenn Deine SängerInnen sich damit beschäftigen, muss ihnen klar sein, dass sie dann noch lange keine perfekten CHORsängerInnen sind - dazu gehört doch noch viel mehr. Etwas besser sind die selbst eingesungenen Stimmen - hier hast Du die Möglichkeit, deine Interpretation gleich mit einfliessen zu lassen. Aber auch da kann das nur als Ergänzung dienen, um sich seiner Stimme sicherer zu werden - die eigentliche Arbeit muss trotzdem in der Probe erfolgen.

Beispiel Tutorials: manche Mitglieder deiner Chöre sind vielleicht ganz engagiert und interessiert und wollen mehr wissen und sich tiefer in das große Gebiet "Musik" hineinarbeiten. Toll! Es gibt sagenhafte Tutorials zu allen möglichen Themen und es ist toll, wenn jemand sich intensiver mit seinem Hobby beschäftigen möchte. Daher würde ich das immer zuallererst begrüßen. Doch auch hier gilt: ein Tutorial (oder auch viele) machen noch lange keinen Experten! Meistens kannst Du auf einem kleinen Gebiet eine Menge lernen - hätte ich zuviel Zeit, würde es sicher auch nicht schaden, mir das ein oder andere anzuschauen, denn auch mein Wissen hat immense Lücken. ;)

Was aber fehlt, ist der große Zusammenhang - und die praktische Anwendung. Hier MUSS ein Internet-Tutor scheitern - denn er hat ja keinen direkten Zugang zum Nutzer. Sollte also ein tutorial-gebildeter Chorsänger Dir meinen, das Wasser reichen zu können, sei dir bewusst, dass er vielleicht auf diesem Gebiet gerade mehr Detailwissen zusammen gesammelt hat - dadurch aber kein bessere Chorleiter wird. Eine freundliche Einladung: "dann erzähle uns doch kurz zusammengefasst, was wir zu diesem Thema wissen sollten..." kann im besten Falle erhellend, oft auch bremsend wirken - und Du kannst damit zeigen, dass Deine Souveränität nicht durch das Wissen anderer erschüttert wird.

 

Du siehst - uns stehen heute mehr Möglichkeiten zur Verfügung, die die Übersicht komplexer machen. Hab keine Angst, die Veränderungen machen Dich nicht überflüssig - denn Du bist derjenige, der sich traut, einen Chor zu leiten! Bleibe neugierig, anerkenne, dass andere auch Kompetenzen haben und sei Du Dir der Deinen bewusst - dann habt ihr alle gewonnen!

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