Quo vadis, Chorwesen?

In diesem Beitrag möchte ich gerne auf die Chancen und Möglichkeiten eingehen, die die momentane Chorabstinenz vielleicht bieten kann. Aber zuvor ganz deutlich: natürlich ist es NICHT POSITIV, wie wir gerade ausgebremst sind.

Wir können dafür leider niemanden zur Rechenschaft ziehen, der Verzicht auf Chorproben ergibt sich ganz selbstverständlich aus unserer Werteordnung, denn niemand will das Leben anderer gefährden - und das würden wir wohl gerade beim Chorsingen tun.

 

Ob und wieweit es in diesem Jahr noch möglich sein wird, Proben abzuhalten und Konzerte geben, steht in den Sternen.

Realistisch betrachtet wird sich die mögliche "Kontaminierung" der Atemluft mit dem Virus nicht einfach in Luft auflösen. (Der Satz ist sehr hintergründig geworden;-).) Insofern wird es nötig sein, viel Abstand zwischen Singende und Publikum und jedem einzelnen zu gewährleisten. Inwiefern da ein Chorklang überhaupt möglich ist, kann sich jeder selber versuchen auszumalen. Und je lauter wir singen, um die Distanz zu überbrücken, umso weiter ist der Weg, den das virengeschwängerte Aerosol zurücklegen kann.... Keine guten Gedanken - sorry! .:(

 

Natürlich bedeutet das auch, dass viele, die zuvor schon mit dem Gedanken gespielt hatten, sich einem anderen Hobby zuzuwenden, den jetzigen Zeitpunkt wählen und damit der Chorgemeinschaft den Rücken kehren werden.

Menschen, denen das Besuchen der Chorproben zunehmend beschwerlich wurde, denen die Atemluft langsam fehlte, die die körperliche Anstrengung als Belastung empfanden - alle diejenigen werden die erzwungene Chorpause als Anlass nehmen, sich aus dem Verein zu verabschieden, zumindest aktiv.

 

Hier entsteht vielleicht die Möglichkeit, sich wieder mehr um eine Pflege passiver Mitgliedschaften zu kümmern, damit uns Chorvereinen nicht alle Einnahmen wegbrechen und ein großes Chorsterben eintritt. Ich denke, dass es aber heutzutag nicht damit getan ist, den scheidenden Aktiven ans Herz zu legen, einfach weiterzubezahlen.

Der Verein sollte sich zumindest etwas Mühe geben, diese Unterstützung zu honorieren. Welche Form wir dafür finden, mag von Ort zu Ort verschieden sein und muss sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Unterstützer  und Gönner(=passive Mitglieder) orientieren.

Von einem Ständchen zum Geburtstag über Ehrenplätze bei Konzerten und Einladungen zu internen Feiern und Fahrten ist vieles normalerweise denkbar. In Coronazeiten wäre es vielleicht ein Telefongespräch, eine Mail, an der mehrere mitgeschrieben haben oder ein kleines Freiluftständchen zum Geburtstag vor der Haustüre von einer kleinen Gruppe...?!

Sicher habt ihr noch viele Ideen, wichtig ist doch eigentlich nur, dass der Gemeinschaftssinn, der von uns Chören so gelobt und propagiert wird, in irgendeiner kreativen Form spürbar wird!

 

Solltet ihr euch für Online-Übezeiten entschieden haben, gibt es natürlich immense Fortentwicklungsmöglichkeiten für jeden einzelnen, aber auch für euren Verein!

Aktive Nachwuchsarbeit: Gerade im digitalen Raum ist es sehr gut möglich, den Nachwuchs weiter bei der Stange zu halten. Für die Jüngeren ist das Agieren am Bildschirm ganz normal, daher ist ihre Hemmschwelle quasi nicht vorhanden. Mit Kinder- und Jugendchören kannst du also viele Spiele, die das Gehör schulen, machen, das Erkennen von Intervallen im Notenbild üben oder auch Choreographien zu schon bekannten Stücken üben. Auch das Üben am Bildschirm geht prima - immer natürlich ohne Kontrollmöglichkeit deinerseits. Ob man einzelne Stellen von einzelnen Vorsingen lassen will, hängt davon ab, ob ihr das früher in der Gruppe schon etabliert hattet. Ich probiere mit meinem Teeniemädels-Chor gerade aus, ob wir nacheinander einzelne Passagen singen können. Der Grundpuls geht natürlich beim Übergang von einem zum anderen verloren - nicht, weil sie es nicht können, sondern wegen der Technik - aber als Ergänzung zum einsamen Singen und vor allem als gemeinschaftbildende Aktion ist das eine gute Möglichkeit, den Spaß in die Online-Zeit zu bringen.

 

Einbindung von Kompetenzen innerhalb deines Chores: auch was die Würdigung diverser Fähigkeiten in deinem Chor betrifft, hast Du hier ein weites Feld von Möglichkeiten!

Deine fähigen Chormitglieder, Chorleitungsassistenzen und angehenden Chorleitungen kannst du bei Übeeinheiten in Kleingruppen hervorragend einsetzen. Bei "Zoom" können diese Gruppen gleichzeitig üben, davor und danach kann man im Plenum zusammenkommen und hat so die Kombination von "alle mal wieder sehen" und "persönliche Betreuung beim Üben". In den Gruppen kann man eher mal Fragen beantworten, gewünschte Stellen explizit nochmal vorsingen, Rhythmus, Aussprache oder andere Schwierigkeiten klären und so intensiver proben, als das vielleicht sonst manchmal der Fall ist.

Außerdem gibt es natürlich noch diejenigen, die diverse technische Kompetenzen haben, dir vielleicht helfen, so eine Online-Übezeit überhaupt möglich zu machen - und die so aktiv dazu beitragen können, dass dein Verein lebendig bleibt.

 

Teamarbeit: Durch die Möglichkeit und fast auch Notwendigkeit, weitere kompetente Mitglieder mit ins Boot zu holen, ergibt sich natürlich auch die Tatsache, dass ihr euch mehr denn je untereinander absprechen müsst. Das beginnt im Vorfeld schon mit deiner Vereinsleitung, geht über die Kommunikation mit deinem Chor, die Erstellung von Übetracks, hinterher das Brennen der mitgeschnittenen Übezeit-Datei auf CD und Verteilen an die Choris, die nicht online dabei sein wollen/können usw. 

NATÜRLICH kannst du auch alles alleine machen - aber davon rate ich dir nicht nur aus Selfcare-Aspekten ab!

Gerade jetzt, wo Gemeinschaft im herkömmlichen Sinn nicht erlebbar ist, wird es umso wichtiger, sich ein gemeinsames Projekt zu suchen, wo alle, die wollen, eingebunden werden können.

 

Erziehung zur Selbstmotivation und Selbstkontrolle: Die Tatsache, dass du nicht hören kannst, was deine Choris so von sich geben, wenn ihr übt, ist natürlich sehr gewöhnungsbedürftig. Umso wichtiger ist es, ihnen möglichst unterhaltsam und humorvoll beibzubringen, wie sie sich selber kontrollieren und verbessern können. Sehr hilfreich ist, wenn du ihnen die verschiedenen Versionen - z.B. einen Sprung aufwärts in der Melodie - vorsingst: einmal hochgepresst, dann mit hochgeschliffenem Glissando und schließlich gut gestützt ohne hör- und sichtbare Veränderung deines Klangapparates.

Jaaaa! - das bedeutet, dass Du es selber auch können musst! Oder zumindest andeuten können solltest. Es ist nicht schlimm, wenn es beim Vorsingen auch bei dir nicht klappt. Wenn Du bei einem mißglückten Versuch gleich 1. zugibst, dass das nicht richtig war, 2. erklärst, was dein technischer und/oder mentaler Fehler war, 3. wie du es besser machen kannst und es 4. gleich nochmal probierst, um dann 5. eine ehrliche Einschätzung zu geben, ob das besser war - dann machst du allerbeste Arbeit!

Denn wir wollen ja, dass auch unsere Choristi genau diese Arbeit machen - und dazu müssen wir sie ihnen zuerst einmal beibringen. Du solltest natürlich auch selber dann daran arbeiten, dass du dauerhaft besser wirst im Vorsingen. Schließlich erwartest du das auch von allen anderen. Und für eine Chorleitung ist es das beste Handwerkszeug, wenn Du außer deiner musikalischen Fachkenntnis und den Dirigierfähigkeiten vor allem deine Stimme beherrschst. Solltest Du dich bisher darum herum gemogelt haben à la "man hört mich ja im Konzert nicht", wäre JETZT der Zeitpunkt, da mal nachzulernen... ;-)

 

Theorie, Gehörbildung: Was wirklich toll geht in diesen Onlineräumen, ist das, wofür sonst nie Zeit ist, weil wir mit Töne proben und Chorklang ausloten und trainieren beschäftigt waren: das Erklären der Musik und das Hörenlernen.

Wir können uns viel Zeit nehmen - die haben wir ja jetzt unfreiwillig - um zum Beispiel bei Sprüngen in der Melodie zu erklären, was das für ein Intervall ist und welchen Melodieanfang man sich dazu merken kann. Oder wie man über die Tonleiter auf den entsprechenden Ton kommt oder wo er vielleicht kurz vorher vorkam und der Singende sich den Ton merken soll, damit er ihn dann  über das Körpergedächtnis wieder findet...

Diese Erklärungen hast du sonst vielleicht manchmal in deine Proben mit eingeflochten - aber die Hälfte hat nicht zugehört oder gerade mit dem Nachbarn geschwätzt....;-) Das ist der große Vorteil, wenn wir online Üben: alle haben sich bewusst die Zeit genommen, um zu lernen und sich gemeinsam zu verbessern - da ist die Konzentration ungleich höher.

Du kannst auch zur Auflockerung mal ein anderes Tonbeispiel aus derselben Zeit, demselben Genre oder Komponisten oder, oder... abspielen, um den Anwesenden einen bestimmten Aspekt der Musik, die ihr miteinander probt, näher zu bringen. Ich weiß - das ist wieder zusätzliche Arbeit! Aber auch zusätzlicher Spaß und Weiterbildung - auf dass wir "nach Corona" nicht bei Null anfangen müssen, sondern gewisse Kompetenzen als Mehrwert aus dieser Zeit mitbringen!

 

Dazu gehört natürlich auch die Beschäftigung mit der "digitalen Welt",  die sowohl wir als auch unsere Choris notgedrungen jetzt beginnen oder intensivieren müssen, wenn wir am Ball bleiben wollen. Wir sollten für uns ganz klar sehen, dass das alles freiwillig geschieht und geschehen muss - hat einer auf alles das keine Lust, muss das in Ordnung sein. Nicht, dass derjenige im Dorf von den anderen auf einmal nicht mehr angeschaut wird, weil er nicht mitmachen will - dafür solltest du mit entsprechenden Ansagen sorgen!

Andererseits kann das Berichten über den Spaß, den man online gemeinsam hat, den ein oder anderen animieren, vielleicht doch mal den Sprung in diese neue Welt zu wagen. Und wenn ihr auch hier wieder vom Verein aus Hilfe anbietet - telefonische Installationshilfe, Kaufberatung,.... -, dann kann auch das wieder dafür sorgen, dass wir unsere Gemeinschaft als etwas Verlässliches erleben, wo wir auch in schwierigen Zeiten nicht alleine gelassen werden und die uns auch ein Stückchen weiterbringen kann. Das wäre dann doch wirklich mal etwas Positives, was wir alle mitnehmen könnten!

 

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